Beitrag vom Montag, 09. September 2013
Regierungswechsel als Bagatelle?
Auch deutsche Medien beobachten die heutige Wahl in Norwegen. Dabei ist immer wieder zu lesen, dass ein Regierungswechsel bevor steht, obwohl es dem Land wirtschaftlich gut geht und es nur marginale Probleme gibt. „Die Menschen haben einfach Lust auf was Neues.“
Dies halte ich für eine ziemliche Bagatellisierung. Und dass die konservative Partei Høyre, die vermutlich nach der Wahl an die Macht kommen wird, im Grunde sehr ähnlich der regierenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei ist, ist schlichtweg falsch.
Wer steht zur Wahl?
Dem regierenden linken Lager, aus Arbeiterpartei, Sozialistischer Linkspartei und Zentrumspartei, steht die bürgerliche Opposition aus den Konservativen (Høyre), den Rechtspopulisten (Fortschrittspartei), den grünen Liberalen (Venstre) und Christlicher Volkspartei gegenüber.
Was steht zu Wahl?
Wichtige Fragen sind, wie der Wohlstand gesichert werden kann, ob das Land zukunftsfähig ist und wie dringende, auch in Norwegen existierende Probleme, gelöst werden können. Der alles entscheidende Knackpunkt ist dabei der Ölfonds und die Frage, ob dieser wie bisher, oder stärker in den Finanzplanungen des Staatshaushaltes berücksichtigt werden soll.
Welche Probleme gibt es?
Von einem Land zu sprechen, in dem das einzige Problem ein paar Schlaglöcher sind, ist grundlegend falsch. Natürlich sind Norwegens Probleme nicht mit denen südeuropäischer Länder vergleichbar und dementsprechend scheinbar gering. Trotzdem gibt es Dinge, die die Menschen beschäftigen, und dass sicher nicht ohne Grund.
Als problematisch wird z.B. Folgendes wahrgenommen: Sehr lange Wartezeiten auf Facharzt- und OP-Termine, geringer Straßenstandart und die damit einhergehende Gefahr eines infrastrukturellen Nachteils gegenüber den Nachbarländern, große finanzielle Belastungen durch Straßenmaut, schlechtes, unzuverlässiges Bahnsystem, zu wenige Pflegeplätze, mangelnde Qualität der Schulen, schlechte Schulgebäude .
Natürlich finden sich genügend Länder in Europa, die gerade bei diesen Problemen deutlich schlechter gestellt sind. Für viele ist jedoch die alles entscheidende Frage, warum nicht mehr getan wird, trotz des enormen Ölreichtums?
Was ist mit den Ölgeldern?
Die meisten Einnahmen aus dem Ölgeschäft werden in einen Pensionsfonds eingezahlt, der den Norwegern die Rente sichert. Die Gretchenfrage ist, ob nun, wie von einigen bürgerlichen Parteien gefordert, mehr Geld aus dem Fonds in den öffentlichen Haushalt fließen kann, oder nicht? Ob das eventuell möglich ist versucht dieser Artikel zu analysieren. (öffnet in einem neuen Fenster)
Wie ist die aktuelle Lage?
Natürlich geht es den meisten Norwegern sehr gut. Die Arbeitslosenrate liegt bei rund 3%, die Armutsrate bei 4%. Dies ist zweifellos ein Verdienst der regierenden Parteien. Allerdings gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen persönlichem Wohlstand und öffentlicher Armut. Norwegens Kommunen sind klamm und, da das Land keine Schulden aufnimmt, fehlt für viele Investitionen das Geld. Wie gesagt, die Probleme sind verglichen mit anderen Ländern eher gering, aber wegzureden sind sie nicht.
Was wollen die bürgerlichen Parteien?
Für viele Norweger stellt sich die Frage, ob die regierenden linken Parteien die anstehenden Aufgaben lösen können und ob z.B. mit dem Pensionsfonds anders umgegangen werden sollte. Einige der bürgerlichen Parteien wollen mehr Geld aus dem Fonds nutzen.
Interessant ist, dass das bürgerliche Lager, in diesem, wie auch anderen Punkten stark gespalten ist. Auf der einen Seite stehen die Populisten der Fortschrittspartei, auf der anderen Seite die eher grün orientierte Venstre und die Christliche Volkspartei. Beide Parteien verfolgen zu gut 70 % andere Ziele als die Fortschrittspartei und können sich mit dieser keine Koalition vorstellen. In der Mitte ist nun die konservative Høyre positioniert, die sich in beide Richtungen eine Koalition vorstellen könnte. Das Ergebnis wäre entweder ein deutlicher Rechtsruck oder eine eher an der politischen Mitte orientierte Politik.
Wäre eine andere Nutzung des Pensionsfonds möglich?
Der Öl- bzw. Pensionsfonds ist ein staatlicher Fonds, der aus den Einnahmen des Ölgeschäfts gespeist wird. Ob mehr Geld aus dem Fonds in den öffentlichen Haushalt fließen könnte, ist fraglich und nicht endgültig beweisbar. Im Grunde kann man es nur versuchen und abwarten. Dieser Test birgt natürlich unkalkulierbare Risiken. (Wie erwähnt, werden diese auf dieser Seite erläutert.)
Ein oft ins Feld geführtes Argument ist, dass die arabischen Ölnationen auch in Ölgeldern „schwimmen“, jedoch viel mehr von den Einnahmen im Land selbst investieren. Es ist nicht beweisbar, ob dies stimmt. Ich möchte es bezweifeln. Auch Länder wie Kuwait und die VAE haben, wie auch Norwegen, einen gigantischen staatlichen Ölfonds. Allerdings werden hier riesige Paläste gebaut und gigantische Projekte verwirklicht, jedoch von Arbeitsimmigranten. Diese machen 70-90 % der Bevölkerung aus. Den meisten wird ein sehr bescheidener Lohn gezahlt, so dass sich die eigentlichen Baukosten in Grenzen halten. Dies wäre in Norwegen undenkbar.
Zudem haben die genannten Länder eine sehr geringe Fläche und dementsprechend im Vergleich zu Norwegen nur sehr marginale infrastrukturelle Probleme zu lösen. Die Kosten für den Bau von Straßen sind also äußerst gering.
Ein weiterer Punkt ist, dass die arabischen Ölnationen von der weltweiten Finanzmarktkrise deutlich stärker getroffen wurden als Norwegen.
Welche Richtung schlägt Norwegen nach der Wahl ein?
Die heutige Wahl ist eine Richtungswahl. Sie entscheidet nicht nur über die Politik der nächsten vier Jahre. Die Entscheidungen einer bürgerlichen Koalition könnten weitreichende, vielleicht auch nicht korrigierbare Konsequenzen haben. Ob diese guter oder schlechter Natur sind, wird sich zeigen. Und daher gebe ich an einer Stelle dem Korrespondent der Tagesschau in einer Sache recht: „Die Norweger haben Lust daruf, ein wenig zu experimentieren.“
Verfasst von Martin Schmidt
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