Beitrag vom Montag, 07. September 2020
Oslos eigensinnige Glocke
Als man anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums Oslos nach dem Carillon des Rathauses schaute stellte man fest, dass eine der 49 Glocken aus der Reihe tanzte, etwas verstimmt war und klanglich somit nicht mehr zu ihren Artgenossen passte. Man nahm das 1,4 Tonnen schwere Instrument ab und bewahrte es fortan auf dem Boden anstatt in luftiger Höhe auf. Der Künstler A K Dolven entdeckte nun die Glocke und war der Ansicht, dass diese wieder gehört werden müsste.
Seit dem 22. August hängt sie nun statt im Rathaus dem Gebäude genau gegenüber, am Anleger Honnørbrygga am Hafen, in 20 Metern Höhe und „baumelt“ an einem 30 Meter langen Stahlseil herab. „The Untuned Bell“, die „Ungestimmte Glocke“, kann über ein Wah-Wah-Fußpedal wie es von Gitarristen verwendet wird, zum Klingen gebracht werden. Vielsagenderweise trägt das Pedal den Namen „Cry Baby“.
Das Projekt hat in jedem Fall Strahlkraft, hat man doch so eine Ausgestoßene in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt und zum Rockstar gemacht. Um die Glocke zu begrüßen, wurde von Rolf Wallin ein eigenes Stück komponiert. Eine Woche lang fingen die Glocken des Rathauses nacheinander an zu läuten, als Symbol dafür, dass sich erst nur wenige trauen, im Namen des von der Gesellschaft einst verstoßenen Rückkehrers zu sprechen, am Ende jedoch immer mehr einstimmen.
Und weitere Symbolik ist zu finden. Anne Katrine Dolven installierte die Glocke an jener Stelle des Hafens, an der am 7. Juni 1945 der aus dem Exil zurückkehrende König Haakon an Land ging. In einer Umgebung, die in den letzten Jahrzehnten monumental künstlerisch ausgestaltet wurde, jedoch nahezu ausnahmslos von Männern.
Verfasst von Martin Schmidt
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