Norwegische Märchen

Beitrag vom Freitag, 14. Dezember 2018

Norwegische Märchen

Östlich von der Sonne und westlich vom Mond

Es war einmal ein armer Kathenmann, der hatte viele Kinder; er war aber so arm, daß er ihnen weder ordentlich zu essen, noch Kleider auf den Leib geben konnte; dennoch waren die Kinder alle sehr schön; aber am schönsten von allen war doch die jüngste Tochter.

Nun war es einmal an einem Donnerstag-Abend im Spätherbst ein ganz abscheuliches Wetter draußen; es war stockfinster, und dabei regnete und stürmte es, daß die Fenster krachten. Die ganze Familie saß um den Kamin herum, und Jeder war mit seiner Arbeit beschäftigt. Plötzlich klopfte es dreimal laut ans Fenster. Der Mann ging hinaus und wollte zusehen, Was es war, und als er hinauskam, stand da ein großer weißer Bär.

»Guten Abend!« sagte der Bär. »Guten Abend!« sagte der Mann. – »Willst Du mir Deine jüngste Tochter zur Frau geben«, sagte der Bär: »dann will ich Dich so reich machen, als Du jetzt arm bist.« Dem Mann däuchte das nicht übel; aber er meinte, er müßte doch erst mit seiner Tochter ein Wort sprechen, ging hinein und erzählte, wie draußen ein großer weißer Bär stände, der hätte ihm versprochen, ihn eben so reich zu machen, als er jetzt arm wäre, wenn er ihm seine jüngste Tochter zur Frau geben wolle. Das Mädchen sagte aber Nein und wollte Nichts von dem Handel wissen. Da ging der [295] Mann wieder hinaus, sprach gütlich mit dem Bären und sagte, er solle nur am nächsten Donnerstag-Abend wiederkommen; inmittlerzeit wolle er schon sehen, Was bei der Sache zu thun wäre. Sie überredeten nun das Mädchen und schwatzten ihr Allerlei vor von dem großen Reichthum, wozu sie gelangen würden, und wie gut sie es selbst bekäme. Da gab sie denn endlich nach, wusch ihre paar Lappen, die sie hatte, rein, putzte sich heraus, so gut sie konnte, und hielt sich reisefertig.

Als am nächsten Donnerstag-Abend der Bär wiederkam, ja, da war’s richtig; das Mädchen setzte sich mit ihrem Bündel auf seinen Rücken, und fort ging’s. Als sie ein gutes Ende hinausgekommen waren, fragte der Bär sie: »Bist Du auch bange?« Nein, das war sie ganz und gar nicht. »Halt Dich nur immer gut an meinen Zotteln fest«, sagte der Bär: »dann hat’s keine Noth.«

Nun ritt sie auf dem Rücken des Bären weit, weit in die Welt hinaus, – kein Mensch kann sagen, wie weit es eigentlich war – und zuletzt kamen sie zu einem großen Felsen; da klopfte der Bär an, und nun öffnete sich eine Pforte, durch welche sie in ein großes Schloß gelangten; drinnen waren viele von Lampen erleuchtete Zimmer, und Alles strahlte von Gold und von Silber; auch war da ein großer Saal, und in dem Saal stand ein Tisch, der war mit den herrlichsten Gerichten besetzt. Nun gab der Bär ihr eine silberne Glocke und sagte, wenn sie sich irgend Etwas im Schloß wünsche, dann solle sie nur damit klingeln, alsdann würde sie es sogleich bekommen. Wie sie nun gegessen und getrunken hatte und gegen Abend müde wurde und sich zu Bett legen wollte, klingelte sie nur mit der Glocke – und sogleich öffnete sich eine Kammer, worin ein aufgemachtes Bett stand, so schön, wie man’s sich nur wünschen konnte, mit seidenen Kissen und Vorhängen mit Goldfransen, und Alles, was sich in der Kammer befand, war ebenfalls von Gold und von Silber. Wie sie aber nun das Licht ausgelöscht und sich ins Bett gelegt hatte, kam ein Mensch an und legte sich zu ihr, und so geschah es jede Nacht; aber sie bekam ihn nie zu sehen, denn er kam immer erst, wenn sie schon das Licht ausgelöscht hatte, und ging wieder fort, eh‘ es noch Tag wurde. So lebte sie nun [296] eine Zeitlang ruhig und zufrieden; aber endlich bekam sie eine so große Sehnsucht, ihre Ältern und Geschwister wiederzusehen, daß sie ganz still und traurig ward. Da fragte der Bär sie eines Tages, Was ihr fehle, daß sie immer so still und sinnig wäre. »Ach«, sagte sie: »es wird mir hier so öde im Schloß, denn ich möchte so gern meine Ältern und meine Geschwister einmal wiedersehen.« – »Dazu kann Rath werden«, sagte der Bär: »aber Du mußt mir versprechen, daß Du nie mit Deiner Mutter allein reden willst, sondern nur, wenn die Andern zugegen sind; denn sie wird Dich wohl bei der Hand nehmen und Dich in eine Kammer führen wollen, um mit Dir allein zu sprechen; läßt Du Dich aber darauf ein, so machst Du mich und Dich unglücklich.« Nein, sagte das Mädchen, sie wolle sich schon in Acht nehmen.

Am Sonntag kam der Bär und sagte, jetzt könne sie die Reise zu ihren Ältern antreten. Sie setzte sich nun auf seinen Rücken, und damit ging es fort. Wie sie nun eine lange Zeit gereist waren, kamen sie zu einem großen weißen Schloß, da gingen ihre Geschwister aus und ein, und spielten, und Alles war da so schön und prächtig, daß es eine Lust war, es anzusehen. »Da wohnen Deine Ältern!« sagte der Bär: »Vergiß nun nicht, Was ich Dir gesagt habe; denn sonst machst Du Dich und mich unglücklich.« Nein, sie wollt’s nicht vergessen, sagte das Mädchen und ging ins Schloß; der Bär aber kehrte wieder um.

Wie nun die Ältern ihre Tochter wiedersahen, freuten sie sich so sehr, daß es gar nicht zu sagen ist, und konnten ihr nicht genug danken für Das, was sie für sie gethan hatte; und sie erzählten ihr, wie sie es nun so außerordentlich gut hätten, und fragten sie, wie es denn ihr ginge. O, ihr ginge es auch recht gut, sagte das Mädchen, sie hätte Alles, was sie sich nur wünschte. Was sie noch weiter sagte, weiß ich nicht recht; aber ich glaube, sie gab ihnen doch keinen ordentlichen Bescheid. Am Nachmittag, als sie gegessen hatten, geschah es, wie der Bär ihr gesagt hatte: die Mutter wollte mit der Tochter allein in der Kammer sprechen; aber das Mädchen dachte an die Worte des Bären, und wollte nicht mit ihr gehen, sondern sagte: »O, Das, was wir zu sprechen haben, können wir immer hier [297] sprechen.« Nun weiß ich aber nicht, wie es recht kam, die Mutter überredete sie doch zuletzt, und da mußte sie ihr denn Alles erzählen, was sie wußte. Sie erzählte ihr nun auch, wie des Abends, wenn sie das Licht ausgemacht hätte, immer ein Mensch käme und sich zu ihr ins Bett legte; aber sie bekäme ihn nie zu sehen, denn eh‘ es Tag würde, wäre er immer wieder fort, sagte sie, und darüber wäre sie so betrübt; denn sie wollte ihn doch so gern sehen, und der Tag würde ihr so lang, weil sie immer so allein wäre. »Wer weiß! das ist gewiß ein Troll, der bei Dir schläft«, sagte die Mutter: »Wenn Du aber meinem Rath folgen willst, so steh mal des Nachts auf, wenn er eingeschlafen ist, und zünde ein Licht an und sieh zu, was es für Einer ist; aber nimm Dich in Acht, daß Du keinen Talg auf ihn tröpfelst.«

Am Abend kam der Bär wieder und holte das Mädchen ab. Wie sie nun ein Ende hinausgekommen waren, fragte er sie, ob es nicht so gekommen sei, wie er gesagt hätte. »Ja«, das konnte das Mädchen nicht leugnen. »Hast Du nun auf den Rath Deiner Mutter gehorcht«, sagte der Bär: »dann machst Du Dich und mich unglücklich; und mit uns beiden ist dann die Freundschaft aus.« Nein, das hätte sie nicht gethan, sagte sie.

Als sie nun nach Hause gekommen waren, und das Mädchen sich ins Bett gelegt hatte, geschah es wieder, wie sonst: es kam ein Mensch und legte sich zu ihr. In der Nacht aber, als sie hörte, daß er schlief, stand sie auf und zündete ein Licht an, und da sah sie nun im Bett den schönsten Prinz liegen, den man nur sehen konnte, und sie ward so verliebt in ihn, daß sie ihn den Augenblick küssen mußte. Da versah sie’s aber und ließ drei heiße Talgtropfen auf sein Hemd fallen, so daß er davon erwachte. »Was hast Du gethan?« rief er, als er die Augen aufschlug: »Nun hast Du mich und Dich unglücklich gemacht. Hättest Du bloß das Jahr ausgehalten, so wäre ich erlöst gewesen; denn ich habe eine Stiefmutter, die hat mich verzaubert, so daß ich des Tages ein Bär und des Nachts ein Mensch bin; aber mit uns beiden ist es nun aus, denn ich muß Dich jetzt verlassen und wieder zu ihr reisen; sie wohnt auf einem Schloß, das liegt östlich von der Sonne und westlich vom Mond, und da soll ich eine Prinzessinn heirathen, die hat eine Nase, die ist drei Ellen lang.«

[298] Das Mädchen fing an zu weinen und zu jammern; aber es war jetzt zu spät, er mußte fort. Sie fragte ihn, ob sie denn nicht mit ihm reisen könne. Nein, sagte er, das ginge nicht an. »Kannst Du mir denn nicht den Weg sagen, damit ich Dich aufsuche?« fragte sie: »denn das ist mir doch wohl erlaubt?« – »Ja, das magst Du gern«, sagte er: »aber es führt kein Weg dahin; denn das Schloß liegt östlich von der Sonne und westlich vom Mond, und dahin kommst Du nie.«

Am Morgen, als sie erwachte, war sowohl der Prinz, als das Schloß verschwunden, und sie lag nun auf der bloßen Erde mitten in einem dicken, finstern Wald und hatte wieder ihre alten Lappen an, und neben ihr lag daselbe Bündel, das sie von Hause mitgenommen. Als sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben und sich satt geweint hatte, begab sie sich auf den Weg und wanderte viele, viele Tage lang, bis sie endlich zu einem großen Berg kam. Vor dem Berge saß eine alte Frau und spielte mit einem goldnen Apfel. Das Mädchen fragte sie, ob sie nicht den Weg wüßte zu dem Prinzen, der bei seiner Stiefmutter auf einem Schloß wohne, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge, und der eine Prinzessinn heirathen sollte mit einer Nase, die drei Ellen lang wäre. »Woher kennst Du ihn?« fragte die Frau: »Bist Du vielleicht das Mädchen, das er heirathen wollte?« Ja, sagte das Mädchen, das wäre sie. »So! also Du bist es!« sagte die Frau. »Ja, mein Kind«, fuhr sie fort: »ich wollte Dir gern helfen; aber ich weiß auch weiter Nichts von dem Schloß, als daß es östlich von der Sonne und westlich vom Mond liegt, und dahin kommst Du wohl nie. Ich will Dir aber mein Pferd leihen, darauf kannst Du zu meiner nächsten Nachbarinn reiten, vielleicht, daß sie den Weg Dir sagen kann. Wenn Du aber bei ihr ankommst, so schlage nur das Pferd unter das linke Ohr und heiß es wieder nach Hause gehen; und dann nimm diesen goldnen Apfel, denn Du kannst ihn vielleicht gebrauchen.«

Das Mädchen setzte sich nun auf das Pferd und ritt eine lange, lange Zeit; endlich kam sie wieder zu einem Berg, vor dem saß eine alte Frau mit einem goldnen Haspel. Das Mädchen fragte sie, ob sie ihr nicht den Weg sagen könne nach dem Schloß, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge. Die sagte aber ebenso, wie [299] die vorige Frau, sie wüßte weiter Nichts von dem Schloß, als daß es östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge, »und dahin wirst Du wohl niemals kommen«, sagte sie: »aber ich will Dir mein Pferd leihen, darauf kannst Du zu meiner nächsten Nachbarinn reiten, vielleicht daß sie den Weg Dir sagen kann. Wenn Du aber bei ihr ankommst, so schlage nur das Pferd unter das linke Ohr und heiß es wieder nach Hause gehen; und dann nimm diesen goldnen Haspel mit, denn Du kannst ihn vielleicht gebrauchen.«

Das Mädchen setzte sich nun auf das Pferd und ritt viele Tage und Wochen lang: endlich kam sie wieder zu einem Berg, und vor dem saß eine alte Frau und spann an einem goldnen Rocken. Das Mädchen fragte nun wieder nach dem Prinzen und nach dem Schloß, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge. »Bist Du es, die der Prinz heirathen wollte?« fragte die Frau. »Ja«, sagte das Mädchen; aber die Frau wußte den Weg nicht besser, als die beiden vorigen. »Östlich von der Sonne und westlich vom Mond liegt das Schloß«, sagte sie: »und dahin kommst Du wohl niemals. Ich will Dir aber mein Pferd leihen; darauf kannst Du zu dem Ostwind reiten; vielleicht daß der den Weg Dir sagen kann. Wenn Du aber bei ihm ankommst, so schlage nur das Pferd unter das linke Ohr und heiß es wieder nach Hause gehen, und dann nimm diesen goldnen Rocken mit, denn Du kannst ihn vielleicht gebrauchen.«

Sie ritt nun manche liebe Zeit, und endlich kam sie bei dem Ostwind an. Sie fragte ihn nun wieder, ob er ihr nicht sagen könne, wie sie zu dem Prinzen käme, der auf dem Schloß wohne, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge. »Ja, von dem Prinzen hab‘ ich wohl reden hören und von dem Schloß auch«, sagte der Ostwind; »aber den Weg kann ich Dir nicht sagen, denn ich habe nie so weit geweht. Ich will Dich aber zu meinem Bruder, dem Westwind, führen, vielleicht, daß der es weiß, denn der ist viel stärker, als ich. Du kannst Dich nur auf meinen Rücken setzen, dann will ich Dich hintragen.« Das Mädchen setzte sich nun auf seinen Rücken, und fort ging es. Als sie bei dem Westwind ankamen, erzählte ihm der Ostwind, er habe ein Mädchen mitgebracht, die den Prinzen heirathen solle, der auf dem Schloß wohne, das östlich [300] von der Sonne und westlich vom Mond läge, und fragte ihn, ob er nicht den Weg dahin wüßte. »Nein«, versetzte der Westwind: »so weit habe ich nie geweht. Wenn Du es aber willst«, sagte er zu dem Mädchen: »so kannst Du Dich auf meinen Rücken setzen, dann will ich Dich zu dem Südwind bringen; vielleicht kann der es Dir sagen, denn der ist weit stärker, als ich, und weht und streift überall umher.« Das Mädchen setzte sich auf seinen Rücken, und da dauerte es denn nicht lange, so waren sie bei dem Südwind. Als sie ankamen, fragte ihn der Westwind, ob er nicht den Weg nach dem Schloß wüßte, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond läge, denn das Mädchen, das er mitgebracht hätte, solle den Prinzen heirathen, sagte er. »So?« sagte der Westwind, aber den Weg wußte er auch nicht. »Ich hab‘ mein Lebtag viel herumgeweht«, sagte er: »aber so weit bin ich nie gekommen. Wenn Du es aber wünschest«, sagte er zu dem Mädchen: »so will ich Dich zu meinem Bruder, dem Nordwind, führen, der ist der älteste und stärkste von uns allen, und wenn der den Weg Dir nicht sagen kann, so erfährst Du ihn niemals.« Das Mädchen mußte sich nun auf seinen Rücken setzen, und fort ging es, daß die Heide wackelte.

Es dauerte nicht lange, so kamen sie bei dem Nordwind an; aber der war so wild und ungestüm, daß er ihnen schon von weitem lauter Schnee und Eis ins Gesicht blies. »Was wollt Ihr?« rief er, so daß es ihnen kalt über die Haut lief. »O, Du mußt nicht so gegen uns auffahren«, sagte der Südwind: »denn das bin ich, Dein Bruder, und das hier ist das Mädchen, das den Prinzen heirathen soll, der auf dem Schloß wohnt, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond liegt, und nun wollte sie Dich gern fragen, ob Du nicht da herum Bescheid wüßtest.« – »Ja, ich weiß wohl, wo es liegt«, sagte der Nordwind: »ich habe mal ein Espenblatt dahin geweht; aber da war ich so müde, daß ich nicht wieder wehen konnte manchen lieben Tag. Wenn Du aber durchaus dahin willst«, sagte er zu dem Mädchen: »und Dich nicht fürchtest, so will ich Dich auf meinen Rücken nehmen und zusehen, ob ich Dich hinwehen kann.« – Ja, sagte das Mädchen, hin wolle und müsse sie, wenns nur auf irgend eine Weise angehen könne, und bange wäre sie ganz [301] und gar nicht, ob’s auch noch so schlimm gehen sollte. – »So mußt Du die Nacht hier bleiben«, sagte der Nordwind: »denn wir müssen den Tag vor uns haben, wenn wir hin wollen.«

Früh am andern Morgen weckte sie der Nordwind, blies sich auf und machte sich so groß und stark, daß es ganz entsetzlich war, und fort ging’s durch die Luft, als ob’s bis ans Ende der Welt gehen sollte. Da entstand ein so gewaltiger Sturm, daß ganze Dörfer und Wälder umwehten, und als sie über’s große Meer kamen, versanken die Schiffe bei Hunderten. Immer ging’s fort über’s Wasser, und das so weit, so weit, daß kein Mensch es glauben sollte; aber der Nordwind wurde schwächer und immer schwächer, und so schwach wurde er, daß er beinah nicht mehr wehen konnte, und er sank tiefer und immer tiefer hinunter, und zuletzt ging es so niedrig, daß die Wellen ihm an die Fersen schlugen. »Bist Du bange?« fragte er das Mädchen. »Nein, ganz und gar nicht«, sagte sie. Nun waren sie nicht mehr weit vom Lande, und der Nordwind hatte kaum noch so viel Kräfte übrig, daß er sie an den Strand unter die Fenster des Schlosses wehen konnte, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond lag. Da war er aber auch so matt und hinfällig, daß er sich viele Tage lang ausruhen mußte, eh‘ er wieder nach Hause konnte.

Den andern Morgen setzte das Mädchen sich unter die Fenster des Schlosses und spielte mit dem goldnen Apfel, und die Erste, welche sie sah, war die Nasenprinzessinn, die der Prinz heirathen sollte. »Was willst Du für Deinen goldnen Apfel haben?« fragte sie das Mädchen, indem sie das Fenster aufmachte. »Der ist nicht feil, weder für Gold, noch für Geld«, sagte das Mädchen. »Wenn Du ihn nicht verkaufen willst, weder für Gold, noch für Geld, Was willst Du denn dafür haben?« sagte die Prinzessinn: »Ich will Dir geben, Was Du verlangst.« – »Ja, wenn ich eine Nacht bei dem Prinzen schlafen darf, so sollst Du ihn haben«, sagte das Mädchen. »Ja, das magst Du gern«, sagte die Prinzessinn und nahm den goldnen Apfel. Als aber das Mädchen in die Kammer des Prinzen kam, war dieser fest eingeschlafen; sie rief ihn und rüttelte ihn und weinte und jammerte; aber sie konnte ihn nicht ermuntern. Am Morgen, als es hell [302] wurde, kam die Prinzessinn mit der langen Nase und jagte sie wieder hinaus.

Den Tag setzte das Mädchen sich wieder unter die Fenster des Schlosses und schlang das Garn auf ihren goldnen Haspel, und nun geschah es wieder eben so, wie gestern. Die Prinzessinn fragte sie, Was sie für den Haspel haben wolle; aber das Mädchen sagte, er wäre nicht feil, weder für Gold, noch für Geld; wenn sie aber noch eine Nacht bei dem Prinzen schlafen dürfe, so solle die Prinzessinn ihn haben. Die sagte sogleich Ja und nahm den goldnen Haspel. Als aber das Mädchen hinaufkam, war der Prinz wieder fest eingeschlafen; und wie viel sie ihn auch rief und rüttelte, und weinte und jammerte, so konnte sie ihn doch nicht ermuntern; und am Morgen, als es hell wurde, kam die Prinzessinn mit der langen Nase und jagte sie wieder hinaus.

An diesem Tage setzte sich das Mädchen mit ihrem goldnen Rocken unter die Fenster hin und spann. Als die Prinzessinn mit der langen Nase den Rocken sah, wollte sie den auch gern haben; sie machte das Fenster auf und fragte das Mädchen, Was sie haben wolle für ihren goldnen Rocken. Das Mädchen sagte aber wieder wie die beiden vorigen Male, für Gold und Geld sei er nicht feil; wenn die Prinzessinn sie aber noch eine Nacht bei dem Prinzen wolle schlafen lassen, dann solle sie ihn haben. Ja, das dürfe sie gern, sagte die Prinzessinn und nahm den goldnen Rocken. Nun hatten aber einige Leute, die neben der Kammer des Prinzen schliefen, seit zwei Nächten ein so klägliches Rufen und Wimmern von einem Frauenzimmer drinnen gehört, und das erzählten sie am Morgen dem Prinzen. Als nun am Abend die Prinzessinn mit der Suppe kam, die der Prinz immer zu trinken pflegte, eh‘ er zu Bett ging, that er, als ob er sie tränke, aber goß die Suppe hinter sich; denn er ahnte nun wohl, daß die Prinzessinn einen Schlaftrunk hineingethan hatte. Wie nun am Abend das Mädchen in die Kammer kam, war der Prinz noch wach und freute sich über alle Maßen, das Mädchen wiederzusehen; und sie mußte ihm nun erzählen, wie es ihr ergangen war, und wie sie nach dem Schloß gekommen sei. Als sie ihm Alles erzählt hatte, sagte er: »Du kommst grade zu rechter Zeit, [303] denn morgen soll meine Hochzeit mit der Prinzessinn sein; aber ich frage nichts nach ihr und ihrer langen Nase, sondern Du bist die Einzige, die ich haben will. Ich werde darum sagen, ich möchte gern sehen, wozu meine Braut taugt, und von der Prinzessinn verlangen, daß sie die drei Talgflecke aus meinem Hemd wasche. Darauf wird sie sich denn wohl einlassen, aber ich weiß, daß sie es nicht zu Stande bringt; denn die Flecke sind von Deiner Hand darauf getröpfelt, und nur Christenhände können sie wieder auswaschen, aber nicht die Hände von solchem Trollpack, wozu sie gehört. Ich werde aber sagen, ich wolle keine andre Braut haben, als Die, welche es zu Stande brächte, und wenn sie es dann Alle versucht haben und nicht damit fertig werden können, dann werde ich Dich rufen, daß Du es auch versuchst.« Hierauf brachten sie die Nacht munter und vergnügt mit einander zu. Als aber am Tage die Hochzeit werden sollte, sagte der Prinz: »Ich möchte doch erst sehen, wozu meine Braut taugt.« Das wäre nicht Mehr, als billig, meinte die Stiefmutter. »Ich habe ein so schönes Hemd«, sagte der Prinz: »und das möchte ich gern zum Bräutigamshemd haben; aber nun sind mir drei Talgflecke hineingekommen, und die wollt‘ ich gern wieder ausgewaschen haben; darum habe ich mir vorgenommen, keine Andre zu heirathen, als Die, welche dazu taugt.« Je nun, das wäre ja nicht so gefährlich, meinten die Frauen, und gingen darauf ein; und die Prinzessinn mit der langen Nase fing an zu waschen, was sie nur konnte; aber je länger sie wusch, desto größer und schwärzer wurden die Flecke. »Ach, Du verstehst Dich nicht darauf«, sagte das alte Trollweib, ihre Mutter: »gieb mir mal her!« Als aber die nun das Hemd bekam, wurde es noch schwärzer, und je mehr sie es wusch und rieb, desto größer wurden die Flecke. Nun sollten die andern Trollweiber das Hemd waschen; aber je länger sie es wuschen, desto abscheulicher ward es aussehen, und zuletzt sah das ganze Hemd aus, als hätt‘ es im Schornstein gehangen. »Ach, Ihr taugt alle nicht dazu!« sagte der Prinz: »Da sitzt eine arme Bettlerdirne unter den Fenstern; ich bin gewiß, die versteht sich besser aufs Waschen, als Ihr alle zusammen. Komm mal herein, Du Dirne!«, rief er; und als das Mädchen kam, fragte er sie: »Kannst Du wohl das Hemd [304] da rein waschen?« – »Ich weiß nicht«, sagte das Mädchen: »aber ich denke wohl.« Das Mädchen nahm nun das Hemd und fing an zu waschen und da wurde es unter ihren Händen so weiß, wie frisch gefallener Schnee, und noch weißer. »Ja, Dich will ich haben!« sagte der Prinz. Da ward das alte Trollweib so arg, daß es barst; und die Prinzessinn mit der langen Nase und das andre Trollpack, glaub‘ ich, ist auch geborsten; denn ich habe nachher nie wieder Etwas von ihnen gehört. Der Prinz und seine Braut ließen nun alle Christen frei, die im Schloß gefangen waren; darauf nahmen sie so viel Gold und Silber, als sie nur fortschaffen konnten, und zogen weit weg von dem Schloß, das östlich von der Sonne und westlich vom Mond lag. Wie sie aber fortgekommen sind, und wo sie hinzogen, das weiß ich nicht; sind es aber Die, welche ich meine, so sind sie nicht so gar weit von hier.

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