Beitrag vom Freitag, 14. Dezember 2018
Norwegische Märchen
Die Hochzeit auf Velkje
Das waren immer sonderbare Leute, die auf Velkje, einem Gehöft, weiches in dem Kirchspieldorf Graven in Hardanger geradeüber von der Kirche belegen ist. Es wohnte da einmal ein altes Ehepaar mit ihrem einzigen Kinde, einer Tochter, die so gross und stark war, wie der grösste Mann, und weit und breit unter dem Frauenvolk ihres Gleichen nicht hatte; aber gleichwohl nannten die Eltern sie nie anders als »das Kind« oder »mein Kind«; auch machten sie sich immer mit ihr zu schaffen wie mit einem [304] kleinen Kinde und hüteten sie wie ihren Augapfel. Endlich musste sie sich doch auch verheirathen wie andere Hüfnerstöchter; aber es war nicht leicht einen passenden Bräutigam zu finden, bis sich zuletzt gleichwol einer fand, der ebenso gross und dick war wie die Dirne selbst. Das Ehepaar auf Velkje war jedoch etwas dämlich und daher auch nicht alles gehörig im Stande als die Hochzeitsgäste anlangten; aber der Bräutigam war da und liess sie durch den Küchenmeister bitten nur immer einzutreten, obschon auf der Vorderseite des Tisches in der Essstube noch keine Bank stand. Um dem abzuhelfen, setzte sich der Bräutigam auf den Hochsitz, nahm seinen »Christian« heraus und legte ihn quer über die Stube, indem er die Gäste aufforderte sich desselben als Tischbank zu bedienen; es könnten ihrer zwölf darauf Platz finden. Während sie nun so unter Schwatzen und Trinken wohlgemut dasassen, kam die Braut herein, und ihr »Geräth« war so gross, dass vier Männer es in einem Backtroge vor ihr her tragen mussten, so dass, als der Bräutigam sie damit kommen sah, sein »Christian« in die Hohe fuhr und die darauf sitzenden zwölf Gäste herabfielen. Einige von ihnen [305] brachen sich den Nacken an den Dachbalken, andere schlugen sich todt gegen Tische und Bänke, und wenn auch einige heil davon kamen, so litten doch die meisten Schaden an ihrem Leibe. So verwandelte sich also das Hochzeitmal auf Velkje in ein Leichenmahl.
Verfasst von Martin Schmidt
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