Beitrag vom Montag, 19. Mai 2014
Kongodorf als Kunstprojekt
Zwischen 1874 und 1940 gab es in Europa und Nordamerika einen Trend, der sinnbildlich war für die rassentheoretischen Vorurteile dieser Zeit, die sogenannte Völkerschau. Vor möglichst naturgetreuer Kulisse wurden dabei Menschen aus fremden Kulturen auf Volksfesten, Jahrmärkten, Kolonialausstellungen und Zoos präsentiert.
Nachdem es schon zu Zeiten des Römischen Reiches „Mode“ war, Fremde vorzuführen, erfuhr diese Art der Zurschaustellung zu Zeiten der Kolonialisierung einen erneuten Aufschwung. Seinen Ausgangspunkt hatte die Wiederbelebung im Nordiske Museet in Stockholm, wo 1874 Museumsdirektor Artur Hazelius eine Lappenhütte aufstellen ließ, die von echten Lappen belebt wurde. Der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck griff diese Idee auf und eröffnete 1875 eine erste Völkerschau, bei der die Besucher Lappländern bei ihrem alltäglichen Leben zusehen konnten. In der Folge wurden allein in Deutschland über 300 Volksgruppen zur Schau gestellt. Diverse Völkerschauen fanden zudem im Rahmen von Weltausstellungen statt, u.a. in Wien, Paris, Brüssel, London, Barcelona, New York und Chicago statt. Im Freizeitpark Liseberg in Göteborg (Schweden) wurden 1923/24 23 Kleinwüchsige in einer Miniaturstadt zur Schau gestellt.
Auch die Jubiläumsausstellung „100 Jahre Grundgesetz“ im Frognerpark in Christiania (heute Oslo) umfasste eine Völkerschau. Im sogenannten „Kongodorf“ lebten 80 Senegalesen in Palmendachhütten und gingen ihrer alltäglichen Arbeit nach. 1,5 Millionen Besucher sahen diese menschenunwürdige Zurschaustellung, wobei gesagt werden muss, dass diese ein Teil eines viel größeren, über 200 Gebäude umfassenden Geländes war, und nicht klar ist, wie viele Besucher extra auf Grund des Kongodorfes kamen. Bis auf ein Zitat aus der Zeitschrift Urd, in dem es heißt: „Es ist wundervoll, dass wir weiß sind“, ist nichts genaues über die Reaktionen der Besucher bekannt.
Trotzdem, es ist wichtig und richtig anlässlich des 200. Grundgesetz-Jubiläums 2014 darauf hinzuweisen, dass die damalige Ausstellung einen erheblichen Makel hatte. Die beiden in Oslo lebenden Künstler, der im Sudan geborene Mohamed Ali Fadlabi und der Schwede Lars Cuzner, haben zu diesem Zweck das Kongodorf im Frognerpark originalgetreu wieder aufbauen lassen. Belebt werden die Hütten nun durch 80 Freiwillige, die sich jeden Tag einige Stunden zur Schau stellen lassen und ihrer frei wählbaren täglichen Arbeit nachgehen.
Die Künstler ernteten für ihr Projekt heftige Kritik von vielen Seiten, möchten sich jedoch dieser stellen und zum Nachdenken über Kolonialismus und Rassismus anregen. Dass diese Aktion möglich ist, ist auf alle Fälle ein Ausdruck dafür, dass Norwegen heute eines der freiheitlichsten Länder der Welt ist und auch kontroverser Kunst einen Raum gibt. Belgien, ehemalige Kolonialmacht des Kongo, klagte dagegen, dass die belgische Fahne neben der norwegischen vor dem Dorf gehisst wurde.
Die Ausstellung scheint bei einigen Gästen durchaus Erfolg zu haben. Die Besucherin Mette Lundby meinte: „Die Debatte ist das interessanteste an dem Kunstwerk. Ich selbst habe viele Vorurteile und ich treffe sie alle hier wieder. Man trifft hier sich selbst.“
Quellen:
Völkerschau (wikipedia)
Bericht auf nrk
taz
Der Ausgangspunkt
Lilleputtstaden Liseberg, Göteborg
Verfasst von Martin Schmidt
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