Beitrag vom Freitag, 16. Mai 2014
Das Dovrefjell – Ein norwegischer Mythos
Möchte man vom Süden Norwegens in den Norden reisen, so führt eigentlich schon seit Jahrhunderten kein Weg an der Route zwischen Oslo und Trondheim vorbei. Diese führt durch zumeist liebliche Täler und überwindet nur eine einzige Passhöhe: Das Dovrefjell. Der Gebirgszug ist das Herz Norwegens und seit jeher ein Ort, um den sich Mythen und Sagen ranken.
Das Dovrefjell besteht aus einer rund 1500 km² großen Hochebene, die von einzelnen, bis über 2000 m hohen Gipfeln durchsetzt ist. Da das Gebirge im Lee liegt, gibt es hier keine Gletscher und nur relativ wenig Niederschlag. Dies macht die Region auch im Winter gut passierbar. Bekannt geworden ist das Dovrefjell für seine Moschusochsen.
Seit vielen Jahrhunderten wird das Dovrefjell mit einem Begriff umschrieben, der das Gebirge hervorragend charakterisiert: urokkelig. Am besten ist dieses Wort wohl mit unerschütterlich, standhaft bzw. beharrlich zu übersetzen. Reist man durch diese Landschaft, so leuchtet dem Besucher diese Bezeichnung durchaus ein. Majestätische, an Burgen erinnernde Berge und eine unendlich erscheinende Hochebene vermitteln ein Gefühl von Ewigkeit.
Auch geografisch hat das Gebirge eine wichtige Bedeutung. Lange Zeit unterteilte man Norwegen in eine Region nördlich des Dovrefjell – Det nordenfjelske (Das nördlich vom Gebirge gelegene Land), und ein Gebiet südlich des Dovrefjell – Det søndenfjelske (Das südlich vom Gebirge gelegene Land)
Seinen mythologischen Ursprung hat das Dovrefjell in einer altnordischen Sage, die von der Gründung Norwegens berichtet und somit die Bedeutung des Gebirges für die nationale Identität untermauert.
Eines Tages lebte in einem Land, in dem Schnee und Kälte regierten, ein Trollkönig (jotunkonge) mit seinen Söhnen Nor und Gor und seiner Tochter Goe. Als eines Tages Goe verschwand, suchten Nor und Gor nach ihr. Auf Skiern und mit dem Schiff waren sie unterwegs und entdeckten ein neues Land, das sie unter sich aufteilten. Nor erhielt das Binnenland und nannte dies Norge (Norwegen). Sein Bruder behielt die Inseln. In der Zwischenzeit hatte sich Goe in Oppland (Hochland) niedergelassen, zusammen mit Rolf aus Berg, Sohn des Trolles Svade vom Dovrefjell.
Gor gilt nun als Stammvater der Orkneyinseln und Nor als Gründer Norwegens. Es verwundert daher nicht, dass das Dovrefjells auch bei der Verabschiedung des neuen norwegischen Grundgesetzes am 17. Mai 1814 zur Geltung kam, als die 112 „Eidsvoll-Männer“ schworen: „Enige og tro inntil Dovre faller“ – „Einig und treu, bis Dovre fällt.“ Noch heute wird im alltäglichen Sprachgebrauch die Unterstützung für einen Menschen oder ein Projekt mit diesen Worten umschrieben.
Doch die Bedeutung des Dovrefjells für Norwegen und die Inseln im Atlantik geht noch weiter. So traf Sigmund Brestesson auf dem Dovrefjell jene Frau, die hernach Stammmutter der färöischen Häuptlingsgeschlechter werden sollte.
Auch für Harald Hårfagre (Harald Schönhaar), Norwegens erstem König, war das Dovrefjell von entscheidender Bedeutung. Nachdem Harald einen Landesteil nach dem anderen unter sich vereinen konnte, und den Bund des neuen Reiches mit diversen Heiraten besiegelte, blieb am Ende noch die Volksgruppe der Samen übrig. Harald traf sich nun mit der samischen Frau Snøfrid (Schnee-Friede) am Weihnachtsabend am Dovre-Hof Tofte (den es heute noch gibt). Harald war wie besessen von Snøfrid. Mit der Heirat kam es zu einer friedlichen Allianz des altnordischen und des samischen Volkes. Snøfrid schenkte Harald vier Kinder, die wiederum das norwegische Königsgeschlecht weiter führten.
Altnordische Sagen berichten zudem, dass das Dovrefjell neben Jotunheimen eine Heimat der Jotner-Trolle war. Die Jotner galten als klug und besaßen Eigenschaften, die sowohl für Götter, als auch die Menschen nützlich waren. Das Reich der Jotner war daher eine Region, in der man Wissen sammeln konnte, das für die Gesellschaft nützlich ist. Kein Wunder also, dass in isländischen Sagen davon berichtet wird, dass das Dovrefjell jener Ort sei, wo Häuptlings- und Königssöhne ihren Mut und ihre Kräfte messen sollten. Später hielt das Dovrefjell Einzug in mehrere Märchen, deren Grundlage wiederum dieses Kräftemessen bildete. „Das Huhn, das nach dem Dovrefjeld wollte, damit nicht die Welt vergehen sollte“ und „Das Kätzchen vom Dovrefjell“ sind Beispiele dafür. Auch Ibsens „Peer Gynt“ muss auf dem Dovrefjell Erfahrungen sammeln und wird nur im letzten Augenblick vor einer Trollheirat in der Halle des Bergkönigs gerettet. Musikalisch unterlegt wurde dieses Geschehen von Edvard Grieg, mit dem Stück „I Dovregubbens hall“ (In der Halle des Bergkönigs).
In Folge des Osloer Professors Gro Steinsland, aus dessen Aftenposten-Artikel ich viele Anregungen zu diesem Artikel entnahm, ist das Dovrefjell daher die nordische Variante der mythologischen Idee vom „Heiligen Gebirge“, welche sich in allen Kulturkreisen wiederfindet.
Verfasst von Martin Schmidt
Abgelegt unter
Nächster Artikel
16. Mai 2014
Vorheriger Artikel
Das Jahr 1814 und das neue norwegische Grundgesetz
15. Mai 2014
Lesetipps
Unsere Empfehlungen
Aktuelles - Nyheter
Coronavirus in Norwegen – Ansteckungsgefahren aus dem Osten?
Aktuelles - Nyheter
„Hele Norge klapper“
Aktuelles - Nyheter