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Beitrag vom Mittwoch, 28. Februar 2018

Die Holländische Krankheit – Das Problem mit den Ölgeldern

Nun hatte ich in einem Blogbeitrag erläutert, warum es trotz hoher Bauaktivität auf Norwegens Straßen nicht immer alles so glatt läuft, wie gewünscht. Vielfach ist nun zu hören, dass man doch einfach mehr Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft in den Ausbau der Verkehrswege investieren könnten, schließlich wird dieses Geld momentan hauptsächlich im Ausland angelegt. Norwegen ist somit einer der wichtigsten Finanziers internationaler Bauprojekte.
Es klingt daher erst einmal wie ein klassischer Schildbürgerstreich: In Mitteleuropa baut man Straßen mit norwegischem Geld, in Norwegen jedoch scheut man weitere Investitionen. Diese Praxis hat jedoch einen gewichtigen Hintergrund und auch einen Namen: Holländische Krankheit. Diese grassiert nun wie folgt:

– Durch den Verkauf von Rohstoffen, wie Öl und Gas, steigen die Exporte dramatisch über die Leistungsbilanz des Landes an.
– Es kommen ausländische Devisen ins Land, deren Umtausch die inländische Währung aufwertet.
-> Importe werden billiger, Exporte teurer ->  Durch die Aufwertung der Währung versucht der Markt automatisch den Export zu zügeln. -> Dies schadet vor allem der inländischen Industrie und Landwirtschaft. Waren können zwar billig importiert, jedoch nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen exportiert werden. -> Die internationale Wettbewerbsfähigkeit sinkt.
– Erhöhung der Faktorpreise, also der Preise für die Erstellung einer Leistung, durch schwindenden Export und / oder durch den künstlichen Schutz des einheimischen Marktes.
– Abwanderung der Arbeitskräfte in den Dienstleistungssektor (nicht handelbare Güter). Konzentration auf den Binnenmarkt (in Falle Norwegens ist dies ein sehr kleiner).
– Sinken des Industriealisierungsgrades.
– Anstieg von Löhnen, unter anderem um eine Abwanderung in den Hochlohnsektor der Rohstoffgewinnung zu verhindern.
– Kapitalfluss in die Rohstoffgewinnung, da diese hohe Gewinne verspricht.

Der Export von Öl und Gas bleibt vom Erstarken der Währung unberührt, da der Handel in Petrodollar erfolgt.

Es gibt nun einige Modelle, wie man mit dieser dramatischen Entwicklung umgehen kann:

„Modell Bananenrepublik“: Der wohlhabende Staat oder Oligarchen, je nach Verteilung der Gelder, fördern einzelne Bürger (Mäzen) und / oder investieren viel Geld teils wahllos in verschiedene Prestigeprojekte. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Es entstehen moderne Glaspaläste, vor allem von Banken, neben Slums. (Nigeria, Russland, Aserbaidschan)

„Modell Golfstaat“: Scheichs / Oligarchen, Ölkonzerne und der Staat bilden praktisch eine Einheit. Der reiche Staat lässt ein Sterben der Industrie und des Mittelstandes, also der Sekundärwirtschaft, zu und tritt an die Stelle eines ausgeglichenen Wirtschaftssystems. Er ist der nahezu alleinige Geldgeber für alle Bereiche des Lebens. Mögliche alternative Wirtschaftszweige neben dem Rohstoffexport sind lediglich solche, die entweder nur auf den Binnenmarkt fokussieren (lokale Produkte) und / oder keine Waren produzieren. Im Grunde kommt da ausschließlich der tertiäre Sektor in Frage: Handel (Shopping Malls), Dienstleistungen und vor allem der Tourismus.
Da es für touristische Großprojekte an Arbeitskräften und fachlicher Kompetenz mangelt, werden massiv ausländische Arbeitnehmer angeworben, von denen wenige sehr viel (Ingenieure) und viele sehr wenig verdienen. Das Golfstaatmodell birgt viele Zukunftsrisiken, da es wirtschaftlich sehr einseitig aufgestellt ist. Exportiert werden nahezu ausschließlich Rohstoffe. Der Import umfasst alle anderen Güter. Beispiele: Kuwait: Export – Rohöl, Raffiniertes Öl, Gas, Azyklische Alkohole und Zyklische Kohlenwasserstoffe. Import – Autos, Elektrogeräte, Flugzeuge, Medikamente. Dubai: Export – Öl, Import: Güter aller Art; alternative Wirtschaftszweige: Handel (Shopping Malls), Tourismus, Grundstücksverkäufe; Anteil ausländischer Arbeitskräfte: 85 %.
Für Norwegen würde dieses Modell bedeuten: Wegfall traditioneller Wirtschaftszweige wie Fischfang, Fischzucht, Schiffsbau, Landwirtschaft, chemische Industrie, Aluminiumindustrie. In der Ölindustrie arbeiten 31.000 Menschen, in angrenzenden Bereichen 29.000. In anderen industriellen Zweigen arbeiten 470.000 Menschen (18 % aller Angestellten; -40 % seit den 1970er Jahren).
Ölstaaten wie Kuwait und Katar erreichen einen Leistungsbilanzüberschuss allein aus dem Export von Rohstoffen. In Norwegen beträgt der Anteil von Öl und Gas am Export „nur“ 36 %.

„Modell Norwegen“: In Folge Ökonomen tritt man der „Holländischen Krankheit“, die in neuerer Zeit das erste mal in den 1960er Jahren in den Niederlanden beobachtet wurde, am besten entgegen, indem Devisen in Höhe des Leistungsbilanzüberschusses nicht umgetauscht, sondern im Ausland investiert werden. Dadurch kann eine Aufwertung der heimischen Währung verhindert werden. Norwegens staatlicher Pensionsfonds ist der größte Staatsfonds der Welt und investiert weltweit in Aktien und Immobilien.
Der Anteil der Öl- und Gasproduktion am norwegischen Export beträgt 36 %. Nur 2,5 % der Ölgelder fließen in den Staatshaushalt (2025). Ölgelder machen damit 17,2 % des Haushaltes aus. Der staatliche Ölfonds (Pensionsfonds) sichert diesen Budgetanteil für viele Jahrzehnte.
Norwegen steuert seit Jahrzehnten der „Holländischen Krankheit“ auch durch einen rigiden Schutz der heimischen Landwirtschaft und des heimischen Marktes entgegen, der durch Billigimporte aus dem Ausland höchstwahrscheinlich komplett aufgerieben und damit zerstört werden würde. Auch die Löhne werden auf einem hohen Niveau gehalten, um die hohen Preise der teuer im Land produzierten Waren und Dienstleistungen bedienen zu können.
Dem norwegischen Modell kann das „Modell Schulden“ hinzugefügt werden: Man investiert die Ölgelder wie gehabt im Ausland, für Investitionen in die heimische Infrastruktur leiht man sich jedoch bei ausländischen Banken oder Investoren Geld. Die Abhängigkeit von den Geldgebern steigt ebenso an, wie deren Möglichkeit der Einflussnahme. Das Modell wendet Österreich an. Die Autobahngesellschaft ist derzeit mit rund 10 Mrd. Euro bei internationalen Finanziers verschuldet. Für Norwegen wird diese Finanzierungsmöglichkeit geprüft. Die Rückzahlung der Gelder erfolgt in jedem Fall über Mauteinnahmen.

„Modell Geldwäsche“: Ölgelder werden in das Ausland verschoben und dort an Firmen ausgezahlt, die wiederum in die Infrastruktur des anderen Landes, in dem Fall Norwegen, investieren, unter Umgehung einer freien Ausschreibung von Projekten. In diesem Modell werden einheimische Wirtschaftsstrukturen zu Gunsten preiswerter ausländischer Investoren geopfert, die zudem ihre eigenen, weil preiswerteren, Arbeitskräfte mitbringen würden. Dies würde dem Arbeitsmarkt großen Schaden zufügen und wäre kaum regulierbar.

Die Situation in Norwegen

Obwohl Norwegen nur 2,5-2,9 % der Ölgelder für das Staatsbudget verwendet, hat die Holländische Krankheit teilweise auch Norwegen erreicht. Dies zeigt sich an den hohen Produktions- und Lebenshaltungskosten im Land, den Exportschwierigkeiten für einige Produkte, dem Industriesterben (-40 % seit den 1970er Jahren) und der Konzentration auf den Absatz von Produkten auf dem Binnenmarkt.
Norwegen besitzt inklusive der Ölexporte eine positive Leistungsbilanz von +1,2 % (d.h. es wird mehr exportiert als importiert). Öl- und Gasexporte machen 36 % der Gesamtexporte aus. Würde nun der Export anderer Waren durch eine zu starke Währung wegfallen, wäre die Leistungsbilanz deutlich negativ. Sprich, Norwegen fördert und exportiert zu wenig Öl und Gas um sich einen durch eine zu starke Währung hervorgerufenen Wegfall anderer Exporte leisten zu können. Zudem bedeutet dies, dass auf Grund der „Holländischen Krankheit“ ein Großteil der 350 Mrd. Kronen (rund 37 Mrd. Euro) aus dem Export von Öl und Gas nicht ausgegeben werden können. Norwegens Wirtschaft ist daher einkunftsstärker, aber ausgabenschwächer.

Immerhin, die norwegische Krone erfuhr, auch in Folge der niedrigen Ölpreise, in letzter Zeit ein gewisse Abwertung. Die Produktionskosten und Löhne haben allerdings mittlerweile ein so hohes Niveau erreicht, dass auch die Abwertung der Krone nur eine geringe positive Auswirkung hatte.

Zusammenfassung

Auswirkung von hohen Rohstoffexporten:

1 Rohstoffexporte führen zur massiven Zufuhr von Devisen.
2 Umtausch der Devisen in lokale Währung führt zu einer Stärkung der Währung.
3 Exporte werden teurer, Importe billiger.
4 Anlocken von Fachkräften in die Ölindustrie durch hohe Löhne.
5 Gegensteuern anderer Sektoren durch Anhebung der Löhne.
6 Lohnsteigerungen und dadurch Ansteigen der Produktionskosten.
7 Hohe Produktionskosten und starke Währung führen zu Exporteinbrüchen bei Industriewaren.

Handlungsmodelle:

1 Einen Einbruch der sekundären Wirtschaft (Industrie) in Kauf nehmen. Rohstoffexporte massiv fördern. Auf den tertiären Sektor (z.B. Tourismus) setzen.
2 Versuch des Gegensteuerns und einer Ausbalancierung.

Gegensteuern:

1 Nur ein Bruchteil der Gewinne aus dem Rohstoffexport fließen in das Haushaltsbudget.
2 Protektionismus: Schützen des heimischen Marktes vor Billigimporten, Stärkung des Binnenmarktes.
3 Subventionierungen.

Auswirkungen in Norwegen:

1 Hoher Anteil an Rohstoffen am Export (36 %), aber nicht so hoch, dass auf den Export anderer (Industrie-) Waren verzichtet werden könnte, wie z.B. in den Golfstaaten.
2 Das Geld aus dem Rohstoffexport kann kaum genutzt werden. -> Höheres BSP als die skandinavischen Nachbarländer, aber deutlich weniger zur Verfügung stehendes Kapital. Norwegen ist einkunftsstärker, aber ausgabenschwächer als z.B. Dänemark und Schweden. Zudem liegen z.B. die Preise für Verbraucher in Norwegen knapp 60 % über dem EU Durchschnitt, was ein hohes BSP relativiert. (Dänemark +39 %, Schweden +24 %, Deutschland +3,6 %)
4 Der Gewinn aus dem Rohstoffexport fließt zu über 95 % ins Ausland.
5 Geschützter Binnenmarkt zum Schutz des heimischen Mittelstands und der Industrie.
6 Zunehmende Förderung von Tourismus und der IT-Branche (tertiärer Sektor).

Möglichkeiten?

1 Anheben des Anteils der Rohstoffexport-Einnahmen am Haushaltsbudget -> möglich, die Auswirkungen sind jedoch unbekannt -> mögliche Verschärfung der „Holländischen Krankheit“ und weiteres Industriesterben. („never change a running system“)

2 Kapitalexport -> Beauftragung ausländischer Firmen, in die Infrastruktur des Landes zu investieren. -> Dadurch werden einheimische Firmen stark benachteiligt und es gibt kein freie Ausschreibung von Angeboten mehr.

3 Senkung oder Einstellung der Öl- und Gasförderung und Stärkung anderer Wirtschaftszweige.

4 Generierung von anderen Einkünften durch Förderung der tertiären, nicht produzierenden Wirtschaft: Tourismus, Innovationen, IT-Branche. Anheben des Anteils an Dienstleistungen (momentan ist dieser Anteil vergleichsweise gering).

Quellen: u.a. Statistik 2016, Sysselsatte, Leistungsbilanz, Export von Öl und Gas, Preisniveauindex,

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