Beitrag vom Montag, 04. Mai 2020
Das Leben in Norwegen in Coronazeiten
Gastbeitrag:
Martin hat mich gebeten aus Sicht einer in Norwegen Lebende über die bisherige Corona-Zeit zu schreiben. Teilweise mache ich dieses ja sowieso durch meinen Video-Blog, wo ich den Inhalt der Pressekonferenzen seitens der norwegische Regierung mit ihren Bestimmungen und Corona-Regeln auf Deutsch vermittle.Da berichte ich doch auch gerne mal, wie das Leben für mich – oder besser gesagt uns – in den letzten 7 Wochen unter Corona war. Falls du mich noch nicht kennst, gebe ich dir eine kurze Einleitung. Ich heiße Anja Dietrichs, bin 40 Jahre alt und lebe mit meiner 10-jährigen Tochter in der Telemark. Mich hat es durch den Norwegen-Traum meines Ex-Mannes im Jahr 2006 in das Land der Elche & Beeren verschlagen. Nichts ahnend auf was ich mich damals eingelassen habe… – Er ist im Herbst 2014 wieder zurück nach Deutschland gezogen. Dadurch durfte ich Norwegen mehrmals Kennenlernen – erst durch die Augen bzw. (Be-/Ver-) Urteilungen meines Partners und dann ab Herbst 2014 mit meinen eigenen Augen, Gefühlen und eigener Meinungsbildung. Diese zahlreichen Erfahrungen geben mir heute die Grundlage anderen Norwegen-Liebhabern auf ihrem Weg zum «Norwegen erLeben» vielseitig zu unterstützen! Am Donnerstagnachmittag, dem 12. März hatte ich meine Tochter von der Schule abzuholen. Es war alles an Schulmaterialien und Wechselkleidung mitzunehmen. Am nächsten Tag, Freitag, dem 13. März war die Schule geschlossen – auf unbestimmte Zeit!Schon einige Zeit zuvor beobachtete ich in den Medien die Berichte um das Corona-Virus, doch erst 2-4 Tage vor Schulschließung wurde das C-Wort immer lauter und ich fragte mich schon, wo das noch hinführen würde?! Doch die abrupte Entschlussfreudigkeit der norwegischen Regierung zu einem teilweisen shutdown überwältigte mich schon etwas. Leicht verwirrt & schockiert über die Surrealität des Geschehens, aber auch leicht freudig, ging es von der Schule nach Hause – morgen früh hatte ich mal kein Kind aus dem Bett zu scheuchen! Um alles besser verstehen zu können, setzte ich mich nach der Abholung von der Schule zu Hause hin und hörte mir die Pressekonferenz an. Da ich entdeckte, dass in vielen Netzwerkgruppen Fragen gestellt wurden und falsche Aussagen präsent waren, verfasste ich auf die Schnelle – 6 Stunden 😉 – einen Video-Blog «Corona schließt Schulen in Norwegen für mindestens 14 Tage». Meine Tochter war bis Mitternacht wach, freute sich einerseits, doch quengelte auch aufgrund meiner geistigen Abwesenheit – verständlich! Am Montag dem 16. März war ein freier Tag, da unsere Schule einen «planleggingsdag» (Planungstag)vorgesehen hatte. Doch zum Abend gab es dann die ersten Informationen von der Lehrerin per e-Mail und wie jetzt «Schule zu Hause» durchgeführt werden sollte.Wir bekamen eine Wochenübersicht mit Plan, Aufgaben und Zeitvorgaben. Um es kurz zu machen, es war zu viel und für beide Beteiligten, also für mich als Elternteil sowie für meine Tochter. Wir waren in dieser ganz neuen Situation überfordert. Die Lehrerin telefonierte zum Ende der ersten Woche mit jedem Schüler und sammelte ihre Erfahrungen.Zur darauffolgenden Woche wurde dann zu Tagesplänen übergegangen, es gab zum Glück weniger Aufgaben mit geringerem Zeitaufwand. Dieses wurde übersichtlicher und die Kinder konnten nach jeder Aufgabe etwas abhaken, so gab es «mestringsfølelse» (Gefühl etwas geschafft/gemeistert zu haben) und somit eine Art von Belohnung.Mit jeder Woche, die verging wurde das «hjemmeundervisning» einfacher, einerseits durch die Reduzierung der Aufgaben seitens der Schule, anderseits durch die zwischenmenschliche Beziehung zwischen meiner Tochter und mir als «Lehrerin», die sich von Katastrophe über Streit zu Verständnis füreinander und zu einer guten Zusammenarbeit bis Selbstständigkeit entwickelte. Trotzdem war die eine Woche Osterferien somit als Pause vom «Unterricht zu Hause» mehr als willkommen. Meine Tochter konnte sich dann zudem nach Ostern mit ihren Mitschülern virtuell über den Video-Konferenzraum zoom treffen. Endlich konnte sie wie Mama «arbeiten», die immer mit ihren Business-Coaches und deutschen Kunden zoomt. 😉Mein erstes Fazit: Es waren 6 lehrreiche Wochen, in denen wir uns gegenseitig zu besseren Menschen erzogen haben und als Familie zusammen gewachsen sind. Herlig! Kurz vor Ostern, 7. April, gab es eine zweite Pressekonferenz, mit Informationen zur schrittweisen Rückgang der C-Regelungen. Zum 20. April wurde der Kindergarten wieder eröffnet, zum 27. April die Schule für die 1. bis 4. Klasse sowie abschließende Klassen bis zur Uni – weitere Details findest du im zweiten Video-Blog «Corona – Wie geht es nach Ostern weiter?»Die Meinungen dazu sind in der Gesellschaft gespalten. Die einen können es nicht verstehen, warum die Kleinsten der Gesellschaft als erstes wieder zurück im KiGa und in der Schule sollen. Sie meinen, sie werden als Versuchskaninchen genutzt. Die anderen Erwachsenen sind froh ihre Kinder betreut zu wissen und die Möglichkeit zu haben wieder Arbeiten gehen zu können und somit Geld zu verdienen, sich und ihre Familie wieder besser versorgen zu können. Viele Arbeitnehmer mussten «permittert», also beurlaubt werden. Entweder konnten sie nicht arbeiten, da ihre Firma geschlossen wurde, oder die Arbeitnehmer zu Hause plötzlich ihr/e Kind/er zu betreuen hatten. Daher gab es im Laufe des März und April in Norwegen den höchsten Stand an Arbeitslosen seit dem zweiten Weltkrieg.Für mich persönlich gab es beruflich keinen großen Unterschied. Zu dem Zeitpunkt war ich in keiner Anstellung tätig und habe, wie gewohnt, zu Hause an der Etablierung meiner Online-Firma (https://www.anjadietrichs.de/) gearbeitet. Meine größte Herausforderung – und das vieler anderer, die von zu Hause arbeit(et)en und Kinder beim «Schulbesuch» zu betreuen hatten – war das Zeitmanagement. Der Tag hatte nicht mehr genug Stunden, um den üblichen Haushalt, Betreuung von Kind mit Schule und Arbeitsaufgaben zu bewältigen. Die ersten zwei Wochen hat meine Firma etwas gelitten, ich musste mir erst einen neuen Tagesplan strukturieren. Trotzdem waren wir viel mehr Draußen unterwegs als zuvor. Vielleicht aufgrund dessen, dass es plötzlich nicht mehr «gern gesehen» war oder weil wir anderweitige Beschäftigung brauchten?! Ich weiß es nicht.In Norwegen durften die Kinder 2 bis 3 Freunde wählen und mit diesen konnte man während der C-Zeit zusammen sein. Ansonsten nur Einkaufen und möglichst keinen weiteren Kontakt mit anderen Menschen haben. Ab dem 24. März wurde sogar angeraten, nur noch in Gruppen von maximal 5 Personen zusammenzusein.Wir haben viele schöne, neue Touren der näheren Umgebung kennengelernt, die wir ohne Ausnahmesituation nicht gemacht hätten! Zudem erlebt man, wie gut es tut auf Tour zu sein, an die frische Luft zu gehen, Aussichten zu genießen und gemeinsam etwas zu unternehmen und zu grillen, letzteres natürlich wegen des üblichen Verbots zum „offenen Feuer“ in Norwegen nur bis zum 15. April. Beim Einkaufen fällt auf, dass nun Desinfektionsmittel bzw. ein Waschbecken zum Händewaschen zur Verfügung stehen. Dieses kann/soll sowohl beim Hereinkommen, wie auch Hinausgehen genutzt werden. Zudem gibt es jetzt Aufkleber als Hinweise auf den Fußböden, die verdeutlichen, wo man zu stehen hat – also mit 1-2 m Abstand. Neue Schutzscheiben an den Kassen, beim Kassierer und nach dem hinteren Warenband beim Einpacken, halten «Atemabstand». Hinweisschilder sind überall genügend angebracht und zudem wird per e-Mail von Geschäften und Behörden informiert.Eine neu entwickelte App «Smittestopp» (https://helsenorge.no/smittestopp) gibt es auch schon. Es wird empfohlen sie herunterzuladen. Diese App ist bis Ende Mai unter Test und danach soll sie jedem Nutzer eine SMS senden, sofern man in der Nähe einer Person war, bei der eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde oder später mal wird. Dazu gibt es etwas Gegenwind á lá «Überwachungsstaat», allerdings darf man dann auch kein Smartphone besitzen, die große Suchmaschine nutzen bzw. kein Mitglied des f-Netzwerk sein. Ich empfinde im Großen und Ganzen die allgemeine Stimmung als gut. Alle machen das Beste aus der gegebene Situation und unter den neuen Regeln. Sie sind gelassen, suchen neue Lösungen und sind daher noch digitaler als zuvor schon geworden. Für Manche macht jedoch die bevorstehen Sommersaison etwas Sorgen, denn ohne Touristen im Land oder überhaupt sein eigenes Geschäft geöffnet haben zu dürfen, gibt es auch keinen Umsatz… Die norwegische Regierung hat zwar einige finanzielle Unterstützungen an den Start gebracht – dazu habe ich einige Informationen auf meiner FB-Seite AnjaDietrich.de (Facebook) – doch jeder wünscht sich, glaube ich, viel lieber persönlichen Kontakt mit seinen Kunden und Mitmenschen. Pressekonferenzen der norwegischen Regierung mit verschiedenen Behörden gibt es „am laufenden Band“. In der ersten Mai-Woche soll es eine weiteren, maßgebenden Entscheidungen zu den Schülern ab 5. Klasse geben – vorausgesetzt der Reproduktionswert liegt weiterhin unter 1. Die Entwicklungen zum C-Virus in Norwegen und weltweit ist beim Medienkanal VG sehr schön visuell und statistisch dargestellt.Ich kann mir vorstellen, dass es bei der kommenden Pressekonferenz noch weitere Informationen bzgl. Veranstaltungen, generell zum Reisen und zum Sommer geben wird. Doch das ist nur eine Vermutung meinerseits… – ich werde, wie gehabt, weiterhin auf Deutsch informieren. Wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen einfach nur abwarten und die Zeit, die uns geschenkt wurde, sinnvoll nutzen. Vielleicht, wie die Norweger, mit dem was sie am Liebsten mögen: auf Tour in die Natur gehen sowie das Hier und Jetzt genießen und einfach nur erLeben!
Verfasst von Martin Schmidt
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