Winter Schnee Maihaugen Lillehammer

Beitrag vom Dienstag, 01. Dezember 2020

Das kleine Dorf, das vergessen hatte, dass Weihnachten war

von Alf Prøysen, frei übersetzt vom Norwegen-Service

Hoch oben auf dem Berg lag ein einsames, kleines Dorf.
Die Menschen, die dort wohnten, waren wie alle anderen Menschen in anderen Dörfern auch.
Einige waren größer, andere kleiner; einige waren fleißig, und einige waren faul; einige mochten Fischklößchen lieber als Fleischklößchen, und einige mochten lieber die Fleischklößchen anstelle der Fischklößchen.
Und so waren sie alle ziemlich verschieden. Abgesehen von einer Sache, da waren sie alle gleich.
Alle waren so schrecklich vergesslich.
Und sie vergaßen die wunderlichsten Sachen, alle auf einmal.

Einmal vergaßen sie sich Schuhe anzuziehen.
Es war den ganzen Sommer über sehr warm gewesen, so dass alle barfuß gingen.
Und als es Herbst wurde, vergaßen sie sich Schuhe anzuziehen.

”Du liebe Zeit, wie kalt es jetzt doch ist!” sagten sie zueinander.
„Ja, ich versteh gar nicht, wie das gehen soll, wenn es noch kälter wird, als es jetzt schon ist“, sagten sie. „Am schlimmsten wird es, wenn der Winter kommt“, sagten sie.

Und so kam der Schnee, und sie liefen noch immer barfuß umher und sagten:
„Es müssen ziemlich viele Grad unter Null sein!“ Und sie gingen umher – und froren.

Eines Tages jedoch standen zwei alte Frauen an einer Weggabelung, hielten ein Schwätzchen – und froren an den Beinen.
Sie sahen einen kleinen Jungen, der den Schmied fragte, warum er denn die Pferde mit Hufeisen beschlug, und da fiel es den beiden alten Frauen plötzlich ein: Sie hatten vergessen, sich Schuhe anzuziehen.

Und so eilten beide schnell nach Hause und zogen sich Schuhe an. Danach ging die eine Frau nach Osten, die andere nach Westen, und beide erzählten den anderen Einwohnern, warum sie denn an den Beinen froren.
Alle zogen sich nun Schuhe an.

Ein anderes Mal hatte alle vergessen zu essen.
Einige Tage ging es gut, ohne Essen, doch am Ende wurden alle krank, mussten sich hinlegen und den Arzt rufen. Doch der konnte nicht kommen, er hatte ja auch vergessen zu essen und war genauso krank wie alle anderen auch.

Doch eines Tages, als der Arzt es mal schaffte aufzustehen, sah er ein Mäusekind mit einem Käsestück im Mund, und da begriff der Arzt plötzlich, was sie alle vergessen hatten.

Er stand geschwind auf und aß, und danach zog er umher und besuchte alle Kranken im ganzen Dorf und sagte, dass sie nur vergessen hatten zu essen.
Nun standen alle auf, aßen und waren bald wieder gesund.

Doch am allerschlimmsten war es das eine Mal, da allesamt vergaßen, dass bald Weihnachten war.

Es war der Tag vor Weihnachten und noch keiner hatte sein Haus geputzt oder saubere Gardinen aufgehangen, keiner einen Weihnachtsbaum aufgestellt und in den Schaufenstern der Läden sah es aus wie immer.
Die Schulkinder standen in der Schule und sagen:
”Komm du schöner, milder Mai.”
Und im ganzen Dorf gab es nicht einen einzigen Weihnachtskeks.

In einer kleinen Stube, ganz weit oben im Dorf, direkt neben dem Wald, lief ein kleines Mädchen hin und her und dachte nach. Sie war gerade mal 5 Jahre alt und war eigentlich ein fröhliches Kind, das hüpfte und sprang, tanzte und spielte und Spaß hatte, aber nun ging sie einfach nur hin und her – und dachte nach.
Sie ging in den Wald und schaute sich die kleinen Tannenbäume an.

„Da ist doch was, was wir wieder mal vergessen haben“, sagte das kleine Mädchen zu sich selbst. „Das hat etwas mit einer kleinen Tanne zu tun, aber ich kann mich nicht erinnern, was es war.“

So ging das Mädchen wieder in die Stube hinein und nahm eine Schere und ein Blatt Papier hervor. „Es hat auch etwas mit einer Schere zu tun“, dachte das Mädchen.
„Aber ich kann mich nicht erinnern, was das war.“

Nun ging das Mädchen in die Scheune. Dort sah sie ein Kornbündel, das ihr Vater an einen Dachbalken gehangen hatte, damit es die Mäuse nicht erreichen konnten.

„Es hat auch etwas mit diesem Kornbündel zu tun“, dachte das Mädchen. Und so stand sie da und schaute sich weiter um. Ihr Blick fiel auf die Stange, auf die das Kornbündel für die Vögel im Winter immer gesteckt wurde. Und da erinnerte sie sich plötzlich dran, dass bald Weihnachten war!

”Oh, es ist doch der Tag vor Weihnachten, genau der Tag vor Weihnachten”, rief das Mädchen und eilte hinüber zum Haus, um es ihrer Mutter und ihrem Vater zu erzählen. Doch die waren nicht da.
„Oh, wie soll ich es nur schaffen, allen im Ort zu erzählen, dass bald Weihnachten ist?“ sagte das Mädchen.

Sie versuchte das Kornbündel auf die lange Stange zu stecken, aber schaffte es nicht.
Doch plötzlich begriff sie, was sie tun musste.
Eine Fahnenstange! Sie würde das Kornbündel an der Fahnenstange empor ziehen.

Das schaffte sie! Und sobald das Bündel an der Stange hing, flog eine kleine Meise vom obersten Zweig der höchsten Tanne herab, so dass der Schnee nur so stieb.

”Wo willst du hin, wo willst du hin?” zwitscherten die anderen Meisen, die schläfrig zwischen den anderen Zweigen saßen.

”Es ist Weihnachten, es ist Weihnachten. Das kleine Mädchen hat ein Kornbündel aufgehangen.“
In diesem Moment flogen auch alle Dompfaffen aufgeregt von den Hagebuttensträuchern im Garten empor.

Die Damen in der Telefonzentrale liefen zum Fenster, um zu schauen, wo denn die ganzen Vögel hin wollten. Und da erblickten sie das Kornbündel am Fahnenmast.

Und die Damen der Telefonzentrale riefen alle Bewohner des Dorfes an, um zu erzählen, dass sie Weihnachten vergessen hatten. Und mit einem Mal begannen die Bewohner zu backen und zu kochen und zu braten. Einige putzten ihr Haus, andere hängten saubere Gardinen auf… Einige gingen in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu holen, einige packten die Weihnachtsgeschenke ein, die sie für Weihnachten versteckt hatten, bevor sie begannen es zu vergessen und andere hängten Weihnachtssterne in die Fenster…

Zum Schluss kletterten alle zusammen in einen riesengroßen Bottich, den der Tischler währenddessen alle putzten und schmückten extra angefertigt hatte, und badeten alle auf einmal.

Und genau in jenem Augenblick, als alle fertig waren und sich saubere Sachen angezogen hatten, und die Mutter des kleinen Mädchens aus der Stube oben am Waldesrand ihr eine rote Schleife ins Haar gebunden hatte, ja, genau in dem Augenblick läuteten die Kirchenglocken.
Und es war Weihnachten!

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