Beitrag vom Mittwoch, 10. Juni 2015
48 Stunden Jotunheimen – tiefes Tal und hoher Berg
Jotunheimen ist das höchste Gebirge Skandinaviens, mit Gipfeln von über 2400 Metern Höhe. In diesem Jahr liegt hier besonders viel Schnee, wovon Daniel Janssen, der derzeit zu Fuß in Richtung Nordkap unterwegs ist ein Lied zu singen weiß:
„Auf meiner Bushcraft Tour von Berlin zum Nordkap hatte es mich nach Westnorwegen verschlagen und nun war mein Plan den Jotunheimen Nationalpark im Mai vom Gehöft Avdalen gard aus nach Lom zu durchqueren. Allerdings hatte ich nicht wirklich durchdacht, dass die gesamte Gegend immer noch tief verschneit ist. Ich hatte angenommen, der Schnee läge in höheren Lagen. Nun, die gesamte Gegend verschneit? Nein, im Utladalen, welches von Årdal her den Eingang zum Park bietet, gab es keinen Schnee. Und, wie ich später feststellen musste auch keinen durchgehenden Weg, wie ich mir trotz Recherche einbildete. Ich dachte ich könne das fehlende Wegstück von ein paar Kilometern durch die Wildnis in Richtung des Ortes Vetti relativ einfach überbrücken.
Diese Annahme war falsch. In Avdalen gard, Øvre Årdal entschied ich mich gegen den steilen Pfad zu meiner Rechten, der mich über und hinter dem Wasserfall Vettisfossen auf das Plateau geführt hätte und wählte den Weg geradeaus das Flusstal Utladalen entlang zum Vettisfossen, das fehlende Wegstück würde ich schon schaffen. Wie zu erwarten, endete der Pfad am wunderschönen Wasserfall Vettisfossen.
Dort angelangt meinte ich zu meiner Überraschung die gangbare Fortsetzung eines Weges auf der anderen Seite des Bergbaches zu erkennen. Furchtlos durchquerte ich den wilden Bach ohne umgerissen zu werden und ins eiskalte Wasser zu fallen oder mich und meinen schweren Rucksack zu durchnässen. Ich kämpfte mich das Tal hinauf und kam nicht auf die Idee, dass ich bei dem Terrain wohl nicht so schnell auf den ein paar Kilometer entfernten Wanderweg am Fluss kommen würde. Alles was jetzt folgen sollte spielte sich auf circa 4 Quadratkilometern ab.
Nachdem ich mich beharrlich über Geröllfelder, Blockwerk und durch Birkenwaldabschnitte das extrem steile Ufer entlangbewegt hatte, und meine Fehleinschätzung einsah, wollte ich nicht mehr umkehren und den mit der Schneeschmelze anwachsenden Wildbach unter dem Vettisfossen noch einmal überqueren, also kletterte ich weiter am Flussufer entlang.
Zwischendurch lief ich im Fluss, weil es leichter war als an den Hängen entlang zu klettern wie eine Bergziege. Nach ungefähr zwei Kilometern und vier Stunden später, wurde mir nach einem Blick auf das Navi klar, das der richtige Weg nur 470 Meter entfernt war, allerdings auf der anderen Seite des Gebirgszuges, dessen Flanken ja nahtlos das Ufer bildeten und ein paar hundert Meter höher. Ich entschied mich an passender Stelle über diesen Bergrücken zu steigen, es gab da nur eine sinnige Stelle in Sicht und mich auf der anderen Seite auf den markierten Weg zuzubewegen.
Nach insgesamt nur drei Kilometern und ein paar Stunden Kletterei schlug ich mein Lager auf einer Landzunge am Fluss auf, bekam trotz der feuchten Witterung ein Feuer aus Birkenholz in Gang und trocknete meine Kleider und Schuhe, kochte mit Tee und Reis und las ein wenig zur Entspannung von der nun aufkeinmenden Angst auf meinem kleinen Tablet-PC.
Am folgenden Tag bewegte ich mich wohl nur insgesamt zwischen einem und zwei Kilometern Luftlinie, wobei der rettende Pfad zur DNT-Hütte Ingjerdbu auf der anderen Seite des Bergrückens laut Navigationssystem nur 750 Meter entfernt und damit die Hütte selbst also auch nur 1750 Meter entfernt war. Ich brauchte an diesem zweiten Tag elf Stunden für diese Strecke.
Beim Aufstieg war mir anhand des relativ wenigen Schnees auf dem Bergrücken klargeworden, dass ich ohne Ski oder Schneeschuhe nie nach Lom am anderen Ende des Nationalparks kommen würde, da die Route noch sehr viel höhere Abschnitte beinhaltete. Ich entschied mich nach Årdal zurückzukehren, doch erst musste ich den niedrigsten Teil des Bergrückens überqueren.
Wenn ich sage es sei kein Weg gewesen, so ist das nicht ganz richtig, denn vor kurzem musste ein schweres Reh oder entsprechendes Wild entschieden haben das Flusstal auf gleicher Route wie ich zu verlassen. Ich konnte stets und nahezu ohne Lücken seinen Hufabdrücken und der Losung folgen, was das Setzen des nächsten Schrittes enorm erleichterte. Weiter oben am Berghang folgte ich dann zeitweilig einem an einen Bergziegenpfad erinnernden Weg am Fels und auf dem Bergrücken konnte ich dann nahtlos einer oder mehreren frischen Elchspuren folgen, die dann auch die beginnenden Schneefelder leichter passierbar machten, da sie das Einsinken im Schnee verhinderten.
Hier oben auf dem relativ sanften Bergrücken brauchte ich aufgrund des Schnees und weiterer extremer Kletterei für eine Strecke von circa 500 Metern bis zu einer Brücke auf dem ersehnten Pfad mehrere Stunden. Ich kletterte bergauf, bergab, pausierte, kletterte und stapfte durch Schneeflächen bis ich endlich auf den Wanderpfad an der Brücke traf.
Mein Plan war zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur, mich für die Nacht unter dem Vordach einer schönen Hütte niederzulassen, ein wenig Feuerholz zu requirieren, meine pitschnassen Stiefel und Hosen zu trocknen, denn ich hatte keinerlei Anzeichen menschlicher Aktivität erkennen können.
Doch als ich das Gelände mit den verschiedenen Hütten erreichte, winkte mir eine Person auf Skiern an einer kleinen Hütte zu. Ich wollte mich nur kurz vorstellen und stapfte dorthin. Mich begrüßte ein sympathischer Norweger, der aussah wie Robert Redford, hörte sich gelassen meine Geschichte an, vollzog sie auf meinem Navi nach, freute sich über meine Unversehrtheit und wies mich auf eine stets unverschlossene Notfall-Hütte in einiger Ferne hin. Diese gehörte zur unbewirtschafteten DNT-Hütte Ingjerdbu, wo er schon zwei paar Ski ausgemacht hatte. Ich solle mich doch dort kurz vorstellen oder gar dort einkehren, da sie ja jetzt offen sei. Er wünschte mir eine gute Nacht und gute Erholung, was ich jetzt brauchte und verabschiedete sich mit dem Hinweis, man werde sich sicherlich morgen früh wiedersehen. Ich stapfte in Richtung Notfall-Hütte und wurde prompt von einem jungen Norweger und seiner Freundin in Empfang genommen und in die Hütte Ingjerdbu herein komplimentiert
So kam ich binnen weniger Minuten aus einer Survivalsituation in den Genuss eines komfortablen Aufenthaltes in der ziemlich neuen und sehr angenehmen, unbewirtschafteten 12 bis 16 Personen DNT-Hütte Ingjerdbu.
Es wurde dann noch ein wunderbar entspannter Abend mit dem norwegischen Paar, die als DNT-Mitglieder einen Schlüssel aus dem DNT-Laden für die Hütte hatten. Sie erklärten mir als nicht DNT-Mitglied sowohl das Hüttenleben als auch den Registrierungs- und Bezahlvorgang per Überweisung im Nachhinein und brachten ihren Stolz zum Ausdruck einem Gast aus Deutschland der ihre geliebten Berge bereist mit Rat und Inspiration beistehen zu dürfen.
Am morgen traf ich den norwegischen Robert Redford und einen seiner Begleiter wieder vor deren Hütten an, die sich nochmals freundlich und genau meine Geschichte anhörten. Der Begleiter gab seiner Freude Ausdruck, dass ich nicht in diesem Tal verunglückt sei und meinte: “…sie hätten dann irgendwann nur noch dein Skelett gefunden..da unten gibt es kein Funknetz… außerhalb der Wege ist der Nationalpark Jotunheimen durchaus lebensgefährlich…”. Ja, ich hab verstanden!
Der Begleiter des norwegischen Robert Redford überprüfte dann nochmals meine gewählte Route auf dem Navi und erklärte mir ebenfalls nochmals den Weg zurück nach Avdalen gard und wies mich an in den Spuren, die sie am Tag zuvor bei der Anreise hinterlassen hatte zurück zuwandern und: “…Um Gottes Willen, steig nicht ab ins Tal, wenn Du nicht den entsprechenden von uns erklärten Weg findest! Wenn du nicht glaubst den Abstieg bewältigen zu können, dann bleib lieber hier (…und steig später mit uns ab).”
Ich folgte also von Ingjerdbu aus den Ski-Spuren dieser liebe Leute und gelangte sicher bis zum steilen Steig nach unten ins Tal bis zur Hütte Avdalen gard am Mittag, wo wieder die Schotterstraße Richtung Landstrasse nach Øvre Årdal beginnt. Ein Fazit erspare ich mir, denn ich lebe von Vertrauen und schaue nicht zurück, doch ein wenig dumm war ich wohl!“
Steckbrief Daniel Janssen
Der Berliner Autor und Filmschaffende Daniel Janssen befindet sich zur Zeit auf seiner „Berlin – Nordkap Bushcraft-Tour 2015“. Mit dem Nordkap in Norwegen als Ziel und dem Wald und der Straße als Lebensort, ist er die meiste Zeit zu Fuß unterwegs, schlägt seine Nachtlager so oft wie es geht bewusst in der Natur auf und verbessert seine Bushcraft- und Waldläufer-Fähigkeiten. Seit März 2015 ist er durch Deutschland, Schweden und in Norwegen unterwegs. Ihm geht es sowohl um eine Auszeit von der Routine des Erwerbslebens, die Begeisterung für die Herausforderung des Lebens in der Natur und um das tiefere Kennenlernen seines Lieblingslandes Norwegen. Auf seinem Blog www.daniel-janssen.blogspot.com berichtet er in regelmäßigen Abständen über seine Erlebnisse.
(c) Text und Bilder Daniel Janssen
Verfasst von Martin Schmidt
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