Beitrag vom Donnerstag, 15. März 2018
Das norwegische Gesundheitssystem
Das norwegische Gesundheitssystem unterscheidet sich in seiner Grundstruktur vom deutschen und ähnelt den schwedischen, finnischen, dänischen und südeuropäischen Modellen. Nachfolgende Informationen habe ich hauptsächlich von diesem Pdf.
Gesundheitssysteme
Es gibt drei Modelle, die einem Gesundheitssystem zu Grunde liegen können:
Das Atlantik oder Beveridge-Modell, das Kontinental oder Bismarck-Modell und das Osteuropäische oder Semashko-Modell. Zudem gibt es noch als Sonderform das Amerikanische Modell, das komplett privat finanziert ist.
Norwegen folgt den Grundzügen des Beveridge-Modells, Deutschland den des Bismarck-Modells. Beide Modelle im Vergleich:
Beveridge – Modell (Großbritannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland,
Italien, Portugal, Spanien)
Das Modell baut auf der Tradition der Armengesetze auf.
Es herrscht eine Vollversicherung für alle (!) Bürger, die jedoch eine finanzielle Selbstbeteiligung zu leisten haben.
Die Leistungen werden auf der Grundlage von Pauschalsätzen angeboten und werden über Steuern finanziert. Das System wird zentralistisch, also vom Staat, gesteuert.
Es herrscht ein Solidarprinzip.
Es gibt nur wenig private Zusatzleistungen.
Vorteile:
Alle sind über die Steuern am System beteiligt. Es gibt keine Benachteiligung von einzelnen Bevölkerungsgruppen. Es gibt nur wenig Lobbyismus, also nur wenig externe Einflussnahme. Auch Geringverdiener haben eine gesicherte Versorgung.
Nachteile:
Die Leistungen können staatlich reglementiert werden. Dies bedeutet, wenn dem Staat ein bestimmtes Medikament zu teuer ist, ist dieses auch nicht verfügbar. Medizinische Leistungen können also eingeschränkt werden. Auch gibt es nur geringen Zugang zu alternativen Heilmethoden. Keine Leistungsanreize.
Gehen die Steuereinnahmen zurück, steigt die Selbstbeteiligung.
Konkret bedeutet dies für Norwegen:
In Norwegen gibt es somit nur eine, staatliche Krankenkasse, in die alle anteilig einzahlen. Der Staat entscheidet darüber, welche Medikamente zur Verfügung stehen und inwieweit in neue medizinische Geräte investiert wird. Ganz konkret bedeutet dies eine etwas geringere Auswahl an Medikamenten und zum Teil ältere Geräte. Der Gerätestandard wird jedoch momentan durch ein hohes Investitionsvolumen deutlich verbessert.
Es gibt einen gemeinsamen Versicherungsfonds für Gesundheitsdienstleistungen, Pensionen, Arbeitslosenunterstützung, Krankengeld und andere Sozialleistungen. Dieser setzt sich zu 75 Prozent aus Beiträgen und zu 25 Prozent aus Steuerzuschüssen zusammen. Es zahlen Arbeitnehmer und Freiberufler 7,8 Prozent ihres Brutto-Einkommens in den Fonds ein, Selbstständige maximal 10,7 Prozent ihres Einkommens. Der Arbeitgeberbeitrag beträgt 14,1 Prozent. Allerdings gibt es für Betriebe in bestimmten Regionen abgestufte geringere Sätze.
Bei akuten Problemen wendet sich der Patient an die legevakt. Jeder Norweger hat zudem einen fastlege, also Hausarzt, der Überweisungen tätigt.
Pro Hausarztbesuch müssen rund 15 Euro Eigenanteil bezahlt werden. Für Medikamente sind 36 % pro Rezept selbst zu tragen, maximal jedoch rund 200 Euro pro Jahr.
Das norwegische Gesundheitssystem ist äußerst kostenintensiv, unter anderem durch eine geringe Bevölkerungsdichte und die schlechte Erreichbarkeit einzelner, landschaftlich zerklüfteter Landesteile. Derzeit wird durch neue, große Zentralkrankenhäuser versucht, das System zu straffen und so an einzelnen zentralen Punkten ein größeres medizinisches Angebot zu schaffen.
Die Vorteile für den Patienten im norwegischen System sind mehr Zeit der Ärzte und Krankenschwestern durch weniger Kosten- und Zeitdruck im Klinikalltag und damit eine deutlich persönlichere Betreuung. Es besteht eine freie Krankenhauswahl. Somit kann man auch selbst entscheiden, wo geplante OP`s oder Behandlungen stattfinden sollen.
Insgesamt werden die Klinikaufenthalte in Norwegen als deutlich angenehmer beschrieben als jene in Deutschland.
Durch einen Mangel Konkurrenz zwischen den Kliniken und geringe Anreize kostensparend und kostendeckend zu arbeiten, gibt es teils lange Wartezeiten für nicht lebensbedrohliche OP`s.
Die Auswahl an Medikamenten und medizinischen Leistungen ist etwas geringer.
Da Norwegen ein eigenes Zulassungssystem für Medikamente hat, kann es bei Neuzulassungen zu Verzögerungen von über einem Jahr kommen. Es wird momentan versucht, das Zulassungssystem zu straffen.
Zahnarztleistungen werden nur bis zum 18. Lebensjahr von der Krankenkasse übernommen.
Grundsätzlich ist die ärztliche Versorgung sehr gut. Probleme kann es bei der Behandlung von seltenen Krankheiten geben, bzw. dann, wenn man auf ein ganz bestimmtes, in Norwegen nicht zugelassenes Medikament angewiesen ist.
Bismarck – Modell (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien,
Frankreich)
Es besteht eine umfassende Pflichtversicherung. Diese finanziert sich über Beiträge, öffentliche und gemeinnützige Versicherungsträger.
Das Sicherungssystem ist einkommensbezogen.
Es gibt obligatorische Beiträge von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Steuern.
Öffentliche und private Anbieter (Krankenhäusern, Niedergelassene Ärzte) und öffentliche und private Krankenkassen.
Vorteile:
Die Finanzierung erfolgt solidarisch durch die Versichertengemeinschaft.
Es besteht meist eine freie Arztwahl und ein Zugang zu alternativen Heilmethoden.
Zusätzliche Leistungsanreize und weniger Reglementierungen.
Nachteile:
Es kann ein Missbrauch des Systems stattfinden.
Hohe und ungebremste Nachfrage von Leistungen, da mit jedem Patienten Geld verdient werden kann.
Unter anderem durch starken Lobbyismus sind verschiedene politische Entscheidungen nur schwer durchsetzbar.
Für Deutschland bedeutet dies:
Es gibt eine große Auswahl an Leistungen und Medikamenten. Der finanzielle und zeitliche Druck in den Krankenhäusern ist jedoch enorm. Man wirbt um möglichst viele Patienten, um mit dünner, kostensparender Personaldecke so viel Geld wie möglich zu verdienen.
Viele Geringverdiener, vor allem Selbstständige mit geringen Einkünften, erhalten nur noch eine geringe medizinische Grundversorgung oder werden durch eine hohe Basis-Beitragsschwelle in private Krankenkassen „getrieben“. Diese übernehmen oft nur finanziell überschaubare Leistungen. Es entwickelt sich so eine Zweiklassenmedizin.
Zahlen im Vergleich
Vergleicht man die Lebenserwartung mit den Gesundheitskosten, so ist das amerikanische System am wenigsten effektiv.
In Norwegen wird mit hohen Kosten eine hohe Lebenserwartung erreicht. Diese liegt bei etwas geringeren Kosten in Deutschland und den skandinavischen Nachbarländern auf einem ähnlichen Niveau.
Die höchsten Kosten haben mit Abstand die USA, gefolgt von der Schweiz und Norwegen. Im oberen Mittelfeld liegen Deutschland, Schweden und Dänemark.
Die Kosten für das Gesundheitssystem stiegen zwischen 1999 und 2011 in Deutschland und der Schweiz um 2 %, in Österreich um 2,2 %, in Norwegen um 2,4 %, in Dänemark um 3,3 % und in Schweden um 3,4 %.
Der Anteil an Ärzten je 10.000 Einwohner lag 2013 in Norwegen bei 43, in Deutschland bei 41.
2010 lag der Anteil an Pflegepersonal / 10.000 Einwohner in Deutschland bei 80, in Norwegen bei 163. Krankenhausbetten je 10.000 Einwohner gab es in Deutschland 83, in Norwegen 39.
Ärzte sichern die Versorgung, schaffen in kommerziellen Gesundheitssystemen jedoch auch die Grundlage für Gewinne. Pflegepersonal dient dem Patienten, verursacht in kommerziellen Systemen jedoch auch zusätzliche Kosten.
Leere Krankenhausbetten kosten Geld. Viele, stets belegte Betten versprechen einen höheren Gewinn.
(Quelle)
Behandlungen:
Eine Zweitlinientherapie mit Antibiotika erfolgt in Deutschland in rund 30 % der Fälle. Auffällig ist, dass in Ländern, die ein anderes Gesundheitssystem bevorzugen, die Anteile geringer sind. In Norwegen und Dänemark liegt der Anteil bei unter 5 %, in Schweden bei rund 6,5 %.
Entweder ist man in diesen Ländern sparsamer, es gibt weniger Antibiotika-Resistenzen oder man behandelt konservativer, da mit zusätzlichen Antibiotikagaben kein Geld zu verdienen ist.
Die Wartezeiten auf größere OP`s sind in osteuropäischen Ländern am höchsten. Norwegen und Schweden liegen im oberen Mittelfeld. Dänemark im unteren Mittelfeld. Deutschland und die Schweiz haben sehr kurze Wartezeiten.
Die Zahl von Arztbesuchen / Einwohner ist in Deutschland mit 9,9 (2013) sehr hoch, in Dänemark (4,7), Norwegen (4,2) und Schweden (2,9) deutlich geringer.
Das deutsche System ermutigt zu Arztbesuchen, unter anderem, da so Gewinne generiert werden können.
Ein Arzt hat in Deutschland im Schnitt 2442 (2013) Patientenkonsultationen pro Jahr. In Norwegen sind es 975.
Ein wichtiger Indikator für die grundsätzliche Qualität eines Gesundheitssystems ist die Säuglingssterblichkeit. Diese ist in Deutschland, wie auch den skandinavischen Ländern sehr gering.
Verfasst von Martin Schmidt
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